Wenn Schuhmacherinnen in selbstgemachten Schuhen heiraten. Ein Hochzeitsschuh erzählt:
Polarblau schimmert das Eis zwischen Moränenschutt und Geröll, wenn der Altschnee auf den Gletschern schmilzt. Polarblau sind die frischen Bonbons vom Schweizer Hersteller, die mit dem Eisbären auf der Packung, zuckerfrei und zahnschonend, bei übermässigem Verzehr wirken sie abführend.
Der Farbton meines Oberleders ist extraordinär, eine noble Kühle ausstrahlend, vornehm distanziert, aber keinesfalls abweisend. Ich bin ein polarblauer Massschuh, einer mit Charakter. Zwar gewähre ich freie Sicht auf die Zehen meiner Trägerin, mich als Sandale zu bezeichnen, wäre aber respektlos. Ich sehe mich eher als perfekte Symbiose zwischen sommerlicher Sandalette und elegantem Damenpumps. Erhaben balanciere ich auf meinem geschwungenen Holzabsatz. Bauchseitig ziert mich eine edle Ledersohle, rundgefräst im Vorfussbereich, hinten hochgezogen bis in den Absatz. Louis XV nennen die Schuhmacher meine Machart, die Krönung ihrer Handwerkskunst. Es kann viel fallieren bei der Montage einer hochgezogenen Ledersohle: schräg, untersetzt, verschoben, zerkratzt, verfärbt, unterfräst, verbrannt, zu dick, zu dünn …
Fragen Sie den Schuhmacher Ihres Vertrauens danach, er wird Ihnen zu erzählen wissen.
Ich bin ein Schuh für die Ewigkeit, werde aber meist nur an einem einzigen Tag im Leben getragen. Ja, ich bin ein Hochzeitsschuh. Meine Bestimmung liegt darin, die Braut möglichst anmutig in die Kirche schweben zu lassen. Sie noch ein bisschen schöner zu machen, als sie sowieso schon ist. Und fällt es mir auch schwer, ich habe mich dem Gesamtbild unterzuordnen: Braut, Kleid und ich – wir bilden eine Einheit, eine Dreifaltigkeit. Da darf sich keiner in den Vordergrund drängen. Auch wenn für meinen Geschmack das Brautkleid definitiv zu lang ist. Als würde man einen weissen Lampenschirm über ein polarblaues Lichtlein stülpen. Mich sollte man doch uneingeschränkt leuchten sehen.
Der Braut bin ich zu ewigem Dank verpflichtet. Sie hat mich höchstpersönlich geschustert. Ohne sie gäbe es mich nicht. Welcher Schuh wird schon von seiner Schuhmacherin getragen? Und erst noch an der eigenen Hochzeit? Sie weiss fachmännisch mit mir umzugehen, schont mich, wo sie kann. Zum Schutze ihrer Zehen und meines feinen Oberleders hält sie beim Hochzeitstanz die tapsigen Sohlen des Bräutigams auf Distanz. Walzerdrehungen wagt sie nur auf dem Absatz, um den Narben meiner Laufsohle nicht zu zerkratzen. Regnet ein Tröpfchen Champagner oder ein Spritzer Sauce béarnaise auf mich nieder, werde ich am Rocksaum trockengerieben. Die Hochzeitsnacht darf ich im Hotel auf einer kuscheligen Schuhmatte vor der Badezimmertür verbringen. Neben mir schnarcht ein konfektionierter Herrenschuh, der vom Bräutigam. Eine Szene, an Romantik kaum zu übertreffen.
Die Namen des Brautpaars und der Hochzeitstag sind filigran in meine Lederhaut geritzt, auf meinen Bauch tätowiert quasi. Wickelt man mich nach der Hochzeit in Seidenpapier und verschwinde ich in meiner Schuhschachtel, so versinke ich zwar in Dunkelheit aber niemals in Vergessenheit. Ich bin Zeuge eines Freudentags, erinnere an Momente des Glücks. Und ich werde niemals aufhören, davon zu träumen, dass mich meine Schuhmacherin mal wieder ausführen wird. Oben ein Sommerkleid, über meiner Hinterkappe ganz viel Bein und dann käme ich. Freie Sicht, alle Blicke wären auf mich gerichtet, einen Abend lang nur auf mich. Ich würde leuchten, ich verspreche es, so polarblau, wie ich nur leuchten kann.
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